Von der verlorenen Wette bis hin zum Bett?-Geflüster - Leseprobe 4 - aus mittendrin

Nachts in Rom unterwegs ...

„Auf, auf ihr Römer“, sprach Bastian als sie die Lobby erreichten. „Zeigt uns was eure Stadt des Nachts zu bieten hat und ob sie in dieser Hinsicht mit Berlin konkurrieren kann.“
„Wird schwierig“, gab Luciella in Erinnerung zu. „Ist dennoch machbar. Wir zeigen euch Stationen dir ihr schon besucht habt und andere, die ihr bei euren nächsten Besuch auch mal am Tage besichtigen solltet. Und morgen, wenn ihr das Collosseum euch noch anseht, dann werdet ihr die Lichter der Nacht nicht mehr bannen können.“
„Denn, wenn sich die Nacht über all die Morbität der Gebäude legt, die trotz Verfallserscheinungen am Tage einen Charme haben, der immer wieder fasziniert. Diese, in altem Glanz erscheinen lassen zu wollen, wäre der Zeit ins Handwerk pfuschen, wäre ein schweres Sakrileg an unserer Vergangenheit. Manche Dinge …“, sprach Claudio weiter. „… gewinnen erst durch den Verfall, der die Größe unserer Stadt sichtbar macht. Würde alles wie in Deutschland restauriert, ist es nichts anderes, als dass man eine vergangene Epoche wieder aufleben lässt. Das ist aber nicht möglich. Das ist eher so wie …“
Er suchte nach Worten und Luigi sprang ein: „Freilichtmuseum. Denn die Zeit hat auch Wunden geschlagen und diese gehören genauso zur Vergangenheit wie Glanz und Gloria. Die Römer haben schon früh erkannt welche Plätze und Orte der Vergangenheit bis ins heute mitgenommen werden können und so, deren Erhalt mit eingebaut haben. Die Via Appia, ein Originalstück, ist erhalten geblieben, ihr seid es heute entlang gelaufen. Eine Straße die Geschichte schrieb, eine Straße die die Urmutter aller Straßen der Welt ist, hat hier mal angefangen.“
„Unsere Thermen, die Wellness -Tempel der Jetztzeit, das übrige Europa war noch nicht soweit, als die römischen Bürger diesen Luxus schon genossen und von Berlin …“, lächelte Claudio. „… war noch nicht die Rede.“

„Ein schönes Plädoyer was ihr da haltet auf eure Stadt“, bemerkte Leandrah. „Aber das müsst ihr nicht. Jeder der sieht, sieht alles was er sehen möchte. Ich gebe auch zu, dass mich das, was man hier morbiden Charme nennt, bei uns in Deutschland nur verfallen nennt. Das hat aber auch damit zu tun, dass, wie du schon feststelltest Claudio, bei uns alles so ordentlich aussieht. Als die Mauern zur DDR aufgingen, da war es grade in Berlin besonders deutlich zu sehen, die schöne und die hässliche Seite der Stadt. Die schöne westliche Seite, farbenprächtig, Lichterglanz, und die Ostseite grau in grau, wie Aschenbrödel. Hier bei euch scheint die Sonne darauf und schon nimmt man diesen Verfall als Relikte der Vergangenheit wahr. Würdet ihr Sturm und Regenwetter als Dauergast haben, würden sich diese Relikte in etwas bedrohliches verwandeln.“

„Bei meinem zweiten Besuch in Berlin …“, erzählte Leandrah weiter. „… das war im

November um Buß- und Bettag herum, grau verhangen, Regenwetter, in der Bellermannstr musste ich etwas abgeben, graues Kopfsteinpflaster, graue Häuser. Damals hatte ich mir nicht vorstellen einmal in dieser Stadt zu leben. Trostlos, sage ich nur, aber wenn das Wetter dann schön ist dann siehst du auch das Himmelsblau viel intensiver in einer solchen Straße.“
„Ich verstehe was du meinst“, sagte Luciella nachdenklich.
Sie waren mittlerweile während des Plauderns am Kolosseum angekommen und es strahlte ihnen entgegen, in den toten Augen, wie man sie vermutlich morgen sehen würde, Licht. Nicht überall, sondern geschickt inszeniert, so dass das unvollkommene Bauwerk heute noch seinen besonderen Reiz in den Augen der Betrachter hinterließ.
Gegen den Nachthimmel aufragend und dann stückchenweise den Rand zerbröselnd freigebend, wie angeschnitten versetzt, sichtbar, wie Feuerschein der einem entgegenbrandet. Auch jetzt noch ein Monument das Eindruck machte.
Leandrah stand ganz still, die Augen geschlossen. Sie sah sich dort drinnen auf den Plätzen sitzend, angstvoll und doch fasziniert von dem Geschehen in der Arena. Sie roch die Angst der Tiere, spürte die Wut. Da fasste Luciella sie am Arm. „Leandrah, du zitterst, ist dir nicht gut?“
Wie aus einer anderen Zeit auftauchen und sich erst einmal orientieren zu müssen öffnete Leandrah langsam wieder die Augen, schüttelte leicht den Kopf. Bastian war jetzt wieder an ihrer Seite, nahm sie in seine Arme, hielt sie fest.
„Hast du wieder?“, fragte er leise an ihrem Ohr.
Sie nickte.
Die Freunde wirkten besorgt.
„Es ist nichts“, beschwichtigte Leandrah nach einer Weile. Sie holte ein paar Mal tief Luft und atmete sie langsam wieder aus.

„So und wo geht es jetzt hin?“, fragte sie.
„Leandrah, was ist los?“, Luciella klang besorgt.
„Nichts, alles in Ordnung“, wiegelte diese ab.
Sie zog, um vom Thema abzulenken, jetzt ihren Grobstrickpullover über. Die Freunde akzeptierten dieses Ablenkungsmanöver, machten sich aber so ihre eigene Gedanken, Blicke huschten hin und her.
„Lasst uns noch mal zum Forum Romanum gehen“, bat Leandrah dann.
Andrea schlug vor: „Später. Erst gehen wir essen bei meinem Vater. Heute wo Gerado an unserer Tour teilnimmt, kann er sich mal wieder Zeit nehmen bei meinen Eltern zu essen.“
„Ich habe mir …“, fuhr Andrea fort. „… die Freiheit genommen Milchlamm für uns vorzubestellen mit einer großen umfangreichen Antipasti Platte vorweg. Gebackenen Tomaten, Kartoffeln, Avorioreis, Salat und eine Zabaglione als Dessert. Einen fulminanten Weißwein aus meinen Weinberg. Lasst uns also gehen, sie werden uns erwarten.“
Etwas versteckt gelegen in einer Seitenstraße fand man sich ein bei Andreas Eltern. Eine sehr feine Adresse wie sie recht schnell feststellen konnten.
Gerado und Luigi wurden aufs herzlichste begrüßt, auch von einigen Gästen.
„Beide haben ihre Ausbildung bei meinen Eltern gemacht, dann ist Gerado mit nach Deutschland gegangen und hat Betriebswirtschaft studiert. Aber wie ihr seht, auch hier ist er unter den Gästen unvergessen.“

Andreas Vater führte sie an einen schönen, großen, runden, gedeckten Tisch. Andrea

forderte sie auf Platz zu nehmen, nur Leandrah zog er hinter sich her in eine kleine Ecke. „Setz dich“, sagte er. „Und bleib da.“
Verwirrt setzte sie sich. Bastian schaute fragend die anderen an. Viola beruhigte ihn.
„Mach dir keine Sorgen. Andreas Mutter wird sich Leandrah annehmen, sie ist Seherin.“
„Warum? Ich verstehe nicht.“ auch Bastian war verwirrt.
„Komm Bastian“, sagte Luciella. „Das vorhin am Kolosseum, das war nicht das erst Mal das sie …“
„Nein“, sagte Bastian. „Das hatten wir schon im Circus Maximus.“
„Ihr?“, hakte Viola überrascht nach.
„Ja, wir haben einfach die Augen zugemacht und dann hatten wir auf einmal das Gefühl eine Zeitreise zu machen. Nur dass wir das heute Morgen auf unser Outfit geschoben haben, aber jetzt … Leandrah war richtig verstört vorhin.“
„Und du? Du hast nichts gesehen?“, fragte Viola nach.
„Vorhin nicht, ich hatte aber auch nicht die Augen geschlossen“, antwortete Bastian.
„Oh ha.“ Die anderen musterten Bastian aufmerksam.
Luigi warf ein: „Sie hören ihr Bett flüstern.“
„Was hat es denn so geflüstert?“
Luigi berichtete was Bastian und Leandrah ihm erzählt hatten.

„Wolltest du nicht …“, fiel Bastian jetzt ein. „… uns das Tattoostudio zeigen?“
„Ja klar, können wir machen nach dem Essen, wenn wir zum Forum Romanum gehen, da liegt es auf dem Weg.“
„Was hat es denn vorhin zu eurer Ruhestunde erzählt?“
„Von Pietro …“, begann Bastian.
„…und Isabella?“, fragte Luciella nach.
„Ja“, bestätigte Bastian. „Ist diese Geschichte etwa auch wahr?“
Gerado nickte. „Ja sie ist wahr. Der Mann dort drüben, den kannst du fragen, das ist ein Urenkel von Pietro und Isabella.“
Bastian schaute hin. Gerado erklärte ihm auf italienisch gerade über was sie gesprochen hatten, da stand er auf, trat an den Tisch und stellte sich vor: „Daniele Lombardi.“
Schon hub hier am Tisch ein langes Erzählen an, er wollte genau wissen was das Bett erzählt hatte, und die Lücken füllte er mit seiner Familiengeschichte.

Leandrah saß noch immer in der Ecke. Andrea war in der Küche verschwunden, sie hörte nur recht aufgeregtes Palaver, verstand indes recht wenig. Dann kam er mit einer Frau zu ihr an den Tisch, zweifelsohne seine Mutter. Sie setzte sich zu Leandrah an den Tisch, nahm stillschweigend ihre Hände in die ihren. Sagte nichts, drehte diese hin und her, umfasste dann ihre Handgelenke, hielt den Daumen auf dem Puls, schaute Leandrah sehr aufmerksam an.
„Schau mich an“, sagte sie dann leise. „Sieh mir in die Augen, atme ganz ruhig.“
Leandrah tat unwillkürlich was man ihr sagte, sie atmete ruhig und schaute dieser Frau in die Augen. „Deine Augen sind der Spiegel zur Seele“, sagte die Frau leise. „Deine Augen haben dir, als du sie heute geschlossen hattest, einen Rückblick in deine Vergangenheit gewährt. Du standest damals wie heute zwischen zwei Männern.“
Sie sah ein leichtes Erschrecken in Leandrahs Augen. „Keine Angst Leandrah“, sagte sie dann. „Damals wie heute wirst du die Entscheidung des Herzens treffen, nicht sofort, aber in absehbarer Zeit. Auch wenn der Andere heute nicht hier ist, er kann genau wie deine Begleitung in die Vergangenheit reisen, denn ihr seid euch schon einmal hier begegnet. Alle drei. Ihr seid Freunde für das Leben geblieben, so wie ihr es euch einst geschworen habt. Daran wird sich nichts ändern. Auch der Mann der bei dir den Kürzeren zieht wird glücklich. Habe keine Angst vor der Vergangenheit Leandrah, denn sie ist der Schlüssel zur Gegenwart.“
Nach diesen Worten löste sie ihre Hand von Leandrahs Handgelenken und stand auf, um wieder in die Küche zu gehen.
Leandrah sagte leise: „Danke.“
„Da nicht für“, entgegnete Andreas Mutter.
Andrea lief seiner Mutter nach, sagte in italienisch: „Sie hören das Bett flüstern.“
„Beide?“, fragte die Mutter.
„Ja“, bestätigte Andrea. „Beide.“
„Nun dann ist die Entscheidung schon gefallen, sie weiß es nur noch nicht. Sie wird es wissen, wenn die Zeit gekommen ist.“

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Christa Helling

Vorwort

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