DAS FENSTER ZUM INNENHOF - Leseprobe 3 - aus Mittendrin

 

eine letzte Leseprobe

Jonas tauchte unter dem Ast durch. Die andere Seite…

Er schloss die Augen. Seine Hände glitten über den Ast. Da, da war etwas…

Langsam öffnete er die Augen. ‚Jonas‘ und Iris‘ Sommer 2004‘ – eine Gravur in einem Ring um den Ast geschrieben – die Jahre hatten den Ast etwas dicker werden lassen, so dass die Abstände zwischen den Worten größer wurden. Ein zweiter Ring … Sie hatten es je von einer Seite geschrieben: ‚Ich liebe dich.‘

Jonas lehnte den Kopf dagegen, seine Finger zeichneten Buchstabe für Buchstabe nach… Iris…

Wieder tauchten längst verschollene Erinnerungen auf.

Iris nackt auf diesem Ast sich rekelnd, Sünde pur…

Wie sie ihn aufgefordert hatte, sie hier zu ficken…

„Zu riskant“, hatte er gesagt.

„Feigling!“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Diese vor Übermut sprudelnde Frau, er zog sich am Ast hoch.

„Warte … gleich wirst du es bereuen, was du gesagt hast.“

„Nichts werde ich…“

„Wir werden fallen!“

„Wetten nicht… Ich halte mich schon fest.“

Sie drehte sich bei den Worten um, setzte Knie vor Knie, weiter Richtung über die Stelle wo der Ast in die Leine ragte. Er musste mit, ob er wollte oder nicht, allerdings ihren süßen Hintern so vorsichtig vor sich balancierend, zu sehen wie sie Hand vor Hand setzte, Knie vor Knie um dann zu sagen: „Hier ist es richtig, ich werde jetzt den Stamm umarmen – pack ihn also aus und besteig mich, du Berglöwe!“

Es war heiß, sie war heiß, und wenn sie jetzt dabei beide das Gleichgewicht verlieren würden, hätten sie dank dem günstigen Platz auch gleich eine Abkühlung.

„Iris, du bist verrückt…“

„Und du immer wieder entzückt ob meiner Ideen…“

Vorsichtig löste er den Gürtel, genau wissend, dass er dieser Situation jetzt nicht mehr ausweichen konnte und wollte.

Den Knopf… den Reißverschluss.

„Du hast das schon mal schneller hinbekommen…“

„Stimmt, aber auf sicherem Boden und nicht auf einem Ast kniend.“

„Einmal ist immer das erste Mal“, kam die Retourkutsche.

Er hangelte nach ein paar Zweigen, um sich daran festzuhalten, während er mit gestrecktem Glied zu Iris vorkam, mit der freien Hand dann vorsichtig einführend, wieder flüsternd: „Du bist verrückt!“

„Mag sein, aber genau deswegen liebst du mich ja. Weil ich anders bin.“

„Stimmt, aber sei jetzt ruhig… ich muss mich konzentrieren.“

Es war verrückt, es war heiß, sehr heiß, dieses vorsichtige Stoßen, Taktieren, er kam sich wie beim Rodeo vor…

Bloß nicht runterfallen…

Dann war es anders gewesen, auch Iris konzentriert, vorsichtiger, nicht das übliche Lustherausschreien, nein.

Gerade als sie beide dem Höhepunkt entgegensteuerten, drehte sich Iris zu ihm um, schaute ihn tief an und sagte: „Ich liebe dich. Du bist mein Leben Jonas, vergiss das nie.“

Und er, der letzte Stoß: „Ich werde es nie vergessen.“ Seine Stimme mit einemmal voller Zärtlichkeit, einen Moment innehaltend. „Ich liebe dich, ich

kann mir nicht vorstellen, ohne dich zu sein.“ Noch ein Stoß, und er ergoss sich in ihr, spürte ihren heißen Saft, der sich jetzt mit dem seinen vermischte, ließ alles aus sich heraussickern. Sie reckte sich hoch, schlang einen Arm um seinen Nacken, suchte seinen Mund küssend. Sie vergaßen alles, er ließ die Zweige los, umfasste Iris, und so passierte, was passieren musste, sie verloren den Halt und stürzten in die Leine.
„Iris …“

Sein Kopf sank an den Ast.

Aus dem Wasser wieder die Böschung hinaufkletternd, lachend, prustend und sich an den Händen festhaltend, ein Versprechen – danach hatten sie es eingeritzt für die Ewigkeit.

Vier Wochen später war er Jana begegnet, die ihn so sehr in den Bann gezogen und vereinnahmt hatte, dass kein Platz mehr an einen Gedanken für Iris war.

Iris…

Er sah sie direkt vor sich – sie hatte immer ein wenig wie Jennifer Aniston ausgesehen, auch frisurmäßig, nur das Haar roter, leuchtender, oft als Pferdeschwanz oder Rattenschwänze getragen, und diese strahlenden grünen Augen.

Noch immer strichen seine Finger die Buchstaben nach… Tränen liefen ihm dabei übers Gesicht.

„Ist es das, was du gesucht hast?“ fragte Anja leise.

„Ja, ich wollte wissen, ob es noch da ist.“

„Und?“

„Ich bin so ein Idiot gewesen…“

„So darfst du es nicht sehen, Jonas“, sagte Anja. „Es ist dein – euer Schicksal.“

„Wie geht es ihr, Anja? Bitte sag: Hast Du noch Kontakt zu Iris?“

„Gleich… Komm jetzt mit zu Bernd, dann reden wir.“

Bernd reichte ihm ein Glas Wasser, dann setzten sie sich auf diesen Baumstamm, den sie als Clique irgendwann mal hierher geschleppt hatten, um sitzen oder nur sich dagegen lehnen zu können.

Bernd erlebte Jonas nicht zum ersten Mal weinend; als sie dieses lange Gespräch hatten, dieses Männergespräch, hatte er auch den Eindruck gehabt, als würde dieser weinen, hatte aber nicht nachgefragt.

Jonas trank.

„Erst wird gegessen“, sagte Bernd bestimmt. „Manches verträgt man auf leeren Magen nicht.“

„Was?“

„Erst essen!“ kommandierte Bernd.

Anja reichte Jonas einen gefüllten Teller.

„Ich habe keinen Hunger.“

„Der kommt beim Essen“, wurde er abgewiesen.

„Diese Idee, hier her zu fahren, kam also nicht von ungefähr?“ fragte Jonas während, er gehorsam einen Bissen nach dem anderen zu sich nahm.

„Richtig“, bestätigte Anja. „Sicher – wir alle haben während unserer Studentenjahre hier viele schöne Stunden erlebt, die Leine kennt unser Lachen, unsere Wehmut, unseren Trotz – all das haben wir hier ausgelebt. Für dich und Iris hatte dieser Platz aber noch eine andere Bedeutung, sehe ich das richtig?“

Jonas Blick glitt einige Minuten wie abwesend über die Leine, bevor er ihn wieder zu den Freunden lenkte.

„Ja, hatte er. Hier haben wir uns das erste Mal geküsst, alles vergessend im Gras geliebt. Hier sind wir vor der Uni immer zum Joggen raus gefahren, mit den Rädern, um uns dann an dem Baum reibend unserer Lust hinzugeben. Iris, die immer riskantere Möglichkeiten fand, den Baum in unser Liebesspiel mit einzubeziehen. Am helllichten Tag die lang herunterhängenden Zweige mit den kleinen Blättern – ein natürlicher Vorhang. Im Spätsommer tanzten die Glühwürmchen darin, ich höre sie noch: ‚Schau mal, Jonas, eine Lichterkette nur für uns …das Jonas, das ist Romantik pur.‘ Es war zauberhaft, Iris nackt, die offenen Haare wild und ungezähmt, die grünen funkelnden Augen, der lockende Mund, der die lockenden Worte der Verzauberung sprach. Welcher Mann kann da widerstehen?

Hier haben wir gezeltet, um zwischen dem Sonnenuntergang und dem Sonnenaufgang Zärtlichkeiten auszutauschen, zu lieben, Sex zu haben in allen möglichen und unmöglichen Lagen.

Hier war unser Platz der Lust.“

„Wieso haben wir das nicht mitbekommen?“ fragte Bernd. „Stefan hatte irgendwann die Idee, wir sollten die Leine gegen die Weser austauschen, und so seid ihr dann mehr nach Hemeln gefahren, da gab es so einen Biergarten direkt an der Weser gelegen.“

„Stimmt“, warf Bernd ein, „Flaschenbier und Schlachteplatte, Plattenkuchen und Kaffee je nach Tageszeit.“

Anja erinnerte sich ebenfalls. „Iris hatte mit einem Mal ganz viele Ausreden, Wäsche, um die sie sich selten gekümmert hat, Kopfschmerzen, für die nächste Klausur pauken. Ein Praktikum, mit dem sie ganz geheimnisvoll tat.“

Jonas lächelte. „Unser Italientrip drei Wochen Toskana und die Isola del Elba.“

„Deine Ausreden waren auch nicht viel besser“, warf Bernd ein, „als du dich von uns immer mehr abseiltest.“

„Ihr versteht doch, dass wir jede Minute miteinander auskosten wollten?“

„Sicher, das verstehen wir, vier Jahre habt ihr geturtelt, die Clique hatte schon Wetten abgeschlossen, wann ihr die Wand zwischen den beiden Wohnungen unter dem Dach durchbrechen würdet, um daraus eine zu machen, um endlich zusammen zu ziehen.“

„Wir standen oft davor“, gab Jonas zu, „und haben dann wieder einen Rückzieher gemacht, so konnten wir uns jeder noch zurückziehen, wenn wir lernen mussten. Trotz aller Verliebtheit waren wir doch realistisch genug, die Klausuren nicht schleifen zu lassen, das Studium nicht aufs Spiel zu setzen. Unsere Eltern waren, wie du ja auch weißt, Anja, nicht auf Rosen gebettet und wollten ihren Kindern trotz allem eine bessere Zukunft schenken. Du und Iris konntet studieren. Meine Eltern machten es möglich, dass ich es ebenfalls konnte, mein Bruder Tom hat eine handwerkliche Ausbildung genossen und Conny studierte in der Schweiz. Mit den Jobs, die wir alle zusätzlich angenommen hatten, entlasteten wir sie zwar wieder ein bisschen, aber jeder von uns war verantwortungsbewusst genug, um unseren Eltern nicht ewig auf der Tasche zu liegen. Wo diese, mit viel Verzicht auf ein angenehmes Leben ihrerseits, uns die Möglichkeit gaben, schuldenfrei in die Zukunft zu starten.
Und deswegen“, schloss Jonas, „haben wir das nicht gemacht, diesen Durchbruch.“

„Diese Inschrift am Baum…“, hakte Anja nach.
„Das Bekenntnis unserer Liebe“, sagte Jonas. „Mehr möchte ich dazu nicht sagen.“

Bernd schaute ihn prüfend an. „Sag, dass ihr das nicht gemacht habt.“

„Was gemacht – ich verstehe nicht“, stellte sich Jonas dumm.

„Na auf dem Ast, du weißt schon.“
„Was weiß ich – sprich dich aus, alter Freund!“ konterte Jonas.

Bernd druckste. „Ihr hattet das letzte Mal, als ihr zurückkamt, so viele Hautabschürfungen, wart nass, und Iris hatte danach eine schwere Erkältung.“

„Okay, du lässt ja doch nicht locker. Iris hatte mich dazu gebracht, sie auf diesem Ast zu ficken.“ Es war schwierig, man musste ständig aufpassen, ich hatte sie gewarnt, sie lachte nur, nannte mich einen Feigling. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen, und so tat ich es, ich fickte sie durch — nur beim gemeinsamen Höhepunkt verloren wir dann das Gleichgewicht und stürzten küssend in die Leine. Dann krabbelten wir die Böschung hoch und ritzten das in den Ast, zogen uns an und fuhren nach Hause, wo wir hofften ungesehen in meinem Zimmer weitermachen zu können.“

Jonas ließ beim Erzählen einiges aus, die Einzelheiten, die vorhin als Erinnerung hochkamen, während er mit dem Finger das Eingeritzte nach malte, gingen nur Iris und ihn etwas an.

„Das was ihr da eingeritzt habt, war euch das ernst?“ fragte Anja.

Jonas schloss die Augen, schwieg.

„Jonas, ich habe dich etwas gefragt.“

„Ja, als wir das schrieben, war es ernst“, antwortete er.

„Und heute?“
„Heute, heute, heute!“ Jonas stand auf, starrte auf die Weide, schloss wieder die Augen… sah Iris so, wie er sie das letzte Mal gesehen hatte, lachend auf der Schaukel im Garten, wie sie sich ihm entgegen warf, ihn umwarf. Ja, Iris hatte diese umwerfende Art, die ihn immer wieder in ihren Bann zog, beide sich auf den Boden küssend rollend, atemlos glücklich.

Er wich aus: „Es ist viel passiert.“

„Stimmt.“

Bernd warf Anja einen Blick zu. „Lass es jetzt sickern, er muss jetzt die Chance haben, darüber nachzudenken.“

Anja lenkte ein. „Komm, lass uns noch ein paar Schritte laufen, Jonas. Wir haken dich unter.“

Gesagt, getan.

„Guck mal, der Habicht da drüben!“ Bernd wies auf einen Zaunpfosten, wo sich jener niedergelassen hatte. Ein weiterer zog seine Kreise am Himmel. Suchend.

Da ein Rascheln ganz in der Nähe… Ein auf geschreckter Hase, zwei, drei Schlenker, und dann wieder sitzend im hohem Gras. Abwartend.

Noch immer schwebte der Habicht über der Wiese links von der Leine, während der andere auf dem Zaunpfosten fast wie eine Statue wirkte. Teilnahmslos. Die drei Freunde blieben stehen, beobachteten jetzt ihrerseits die Szenerie.

Diese Ruhe, diese Geduld, die die Jäger mitbrachten. Die Augen, denen nicht die kleinste Reaktion entging.

Faszination und gleichzeitig eine unglaubliche Spannung lag in der Lust, fast greifbar.

Die Freunde hielten den Atem an… Als der kreisende Habicht plötzlich nach unten stürzte, ein kurzer Laut ertönte, der Kopf des Habichts sich kurz senkte, und dann hob er mit der Beute zwischen den Krallen wieder vom Boden ab und entschwand in den Lüften. Ein kurzer Blick zu dem anderen: Dieser saß noch immer regungslos auf seinem Pfahl. Jetzt wieder ein Rascheln. Zwischen dem hohen Gras konnte man die Hasenohren ausmachen und wie dieser sich Haken schlagend der Stelle näherte, wo zuvor die Gefahr von oben eines seiner Jungen geholt hatte. Nur eine leichte Bewegung, ein Blick – der Habicht breitete seine Flügel aus und erhob sich, den Kopf nach unten gesenkt…

Anja schrie plötzlich los: „So nicht, den nächsten kriegst du nicht!!!“ – griff auf den Feldweg und warf Stein um Stein, fauchte dann die Freunde an: „Los, helft mir! Das arme kleine Häschen…“

„Lass, Anja, dein Geschrei hat den Habicht schon vertrieben. Vorerst zumindest, aber er wird wiederkommen, und nicht einmal du wirst ihn daran hindern können“, versuchte Bernd seine Freundin zu beruhigen.

Jonas, der einen Moment allein stand, ohne Gehhilfen, ohne die unterhakenden Freunde, griff jetzt auch ein: „Anja, das ist das Gesetz der Natur, und das ist gut so.“

„Ach!“ höhnte Anja mit einem Mal. „Das Gesetz der Natur – kehrst Du jetzt wieder den Wirtschaftsanwalt hervor??“

Anja hatte sich recht abrupt dabei umgedreht, und Jonas ging zu Boden.

Sie war noch nicht fertig, Jonas sah es in ihren funkelnden Augen, Augen die ihn wieder an Iris erinnerten, diese Augen, die so viel ausdrücken konnten – Wut jetzt bei Anja. Jonas schloss die Augen, sah Iris, wie sie mit laszivem Gang, nackt, das Sonnenlicht im Rücken, auf ihn zukam, in der Hand die erfrischenden Eistees mit Strohhalm, das Funkeln, das in ihren Augen stand, Zärtlichkeit und Hingabe.

„Anja…“, versuchte er.

„Halt den Mund, jetzt rede ich!“

Bernd versuchte, Anja zurück zu ziehen.

„Lass mich!“ fauchte sie auch ihn an.

„Uiuiui!“

„Das Gesetz der Natur war dann wohl auch schuld daran, dass, als Jana“ (sie spuckte den Namen förmlich aus) „auftauchte, Iris dir nicht mehr gut genug war. Jana – schillernd, blendend, immer gestylt, so wie wir alle nicht waren, weil wir jeden Pfennig umdrehen mussten um unseren Eltern nicht länger als nötig auf der Tasche liegen wollten. Unsere Jobs, die wir alle hatten, um ein paar Freiheiten zu haben. Und dann kommt diese, diese…“

Anja suchte noch nach dem richtigen Wort, als Bernd losdonnerte: „R u h e !!! – Anja, du gehst zu weit.“

Dann zog der Anja von Jonas weg, flüsterte: „Du hast deinen Auftritt gehabt, pack jetzt die Sachen zusammen und verstau sie im Auto. Ich helfe Jonas auf, wir fahren zurück.“ ©

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Christa Helling

Vorwort

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