DER SCHLÜSSEL - Leseprobe 5 - aus Mittendrin .... Helenas ausgeklügelte Rache

 

Helenas ausgeklügelte Rache

Aber, aber, meine Hand legte sich an seine Wange, doch mein behandschuhter Daumen fuhr über seine Lippen. „Sie sind so schön“, flüsterte er ergriffen. „Ich, ich. ich …“

Ein Gedanke erobert mich, ja ich gebe es zu, ein wenig teuflisch ist er schon, aber Rache ist etwas sehr subtiles und will in jeder Nuance ausgekostet werden. Ich lud ihn ein, zu mir in mein und Claudius Liebesnest, ich verband ihm allerdings mit meinem Schal die Augen, ein paar Mal gedreht. Dieses hat ja auch von der Straße her einen Eingang, so dass ich jederzeit doch auftauchen kann und nur ich, habe zu diesem Eingang einen Schlüssel. Er ahnt nicht, wo er sich befindet  und das nur eine Etage höher sein Vater sein Domizil hat. Diese leckeren Früchte, ein paar leidenschaftliche Küsse, gespieltes Begehren und schon konnte ich diese junge Ausgabe von Claudius um den Finger wickeln. Ich genieße es, dass er sich so in meinem Bann befindet, er greift nach einem Block und beginnt mich zu malen.

„Meine Liebes Göttin“, flüsterte er dabei. Das Talent hat sich also vererbt muss ich feststellen. Ich muss allerdings verhindern, dass er genau wie sein Vater mit einem Bild von mir seinen Durchbruch hat.

„Schenkst du mir das Bild?“, hauchte ich.

„Ungern“, erwiderte er. „Ich wollte es für mich, damit ich eine Erinnerung an dich habe.“ „Ich bin nicht so geübt“, erzählte er weiter. „Ich möchte nicht Maler sondern Architekt werden.“

„Schenk es mir“, gurrte ich etwas beruhigt.

„Wie heißt du?“, fragte er.

„Oh, habe ich vergessen mich vorzustellen …“ Ich lächelte. „Nenn mich Aphrodite.“

„Aphrodite, ja, das passt“, murmelte er. „Du bist meine Göttin der Liebe, der Schönheit, sowie der sinnlichen Begierden, die ich vorhin so reichhaltig auskosten durfte.“

Wieder musste ich in mich hinein lächeln, mein Name war Helena und sein Vater hatte mich als Venus gemalt. Venus, die das römische Gegenstück zur Aphrodite darstellte. Ich verriet ihm, nachdem ich ihn in dieser Nacht noch einmal meine sinnliche Begierde spüren ließ etwas, was er nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit, größter Verschwiegenheit, dem Fotografen Bretoni erzählen dürfte. Nur diesem, denn nur dieser sei in der Lage die Brisanz die in diesem Wissen steckte, zu erfassen und umzusetzen.

Alle zwei Wochen, erzählte ich ihm also, träfe sich der Führer in einem bestimmten Hause in einer Hochparterrewohnung heimlich mit einem Mann.

„Geheime Absprachen?“, fragte er neugierig.

Ich schüttelte den Kopf. „Nun, so würde ich es nicht formulieren, es ginge mehr um etwas was er sonst verteufle, dieser Mann und der Führer …“

Ich senkte den Blick.

„Wenn das rauskommt, oh mein Gott …“, Simon schien begriffen zu haben.

„Genau“, bestätigte ich. „Ganz genau, deswegen ist es so wichtig das das festgehalten wird und nur der Fotograf Bretoni besitzt das nötige Fingerspitzengefühl dafür. Also diese Woche war das Treffen schon“, bedauerte ich. Ich setzte noch hinzu: „Immer Donnerstags.“

Er fragte gar nicht woher ich dieses Wissen hatte, das fiel mir auf, er war viel zu sehr beschäftigt mit dem Wissen, das er erhalten hatte. Die Tragweite dessen, schnürte ihm fast die Luft ab. Ich wusste, dass er in den nächsten Tagen mit meinem lieben Schwager ein Treffen hatte, da dieser ihm versprochen hatte ihm Aufnahmen von besonders schönen und ausgefallenem Gebäuden zu geben, das hatte mir Claudius erzählt. Ich griff daher noch einmal spielerisch nach ihm, küsste ihn und griff dabei nach dem jetzt fertigen Bild, ließ es unter den Kissen verschwinden.

„Du weißt schon …“, flüsterte ich ihm ins Ohr, während ich daran knabberte und leckte: „… dass man seine Quellen niemals verrät?“

„Ich weiß“, stöhnte er auf. „Du machst mich verrückt.“

Wir badeten ausgiebig, dann zogen wir uns wieder an, ich verband ihm erneut die Augen und schlich mit ihm aus der Wohnung, brachte ihn dort wieder hin, wo wir uns gegen Mittag begegnet waren. Mal sehen, ob er es hinbekommt. Ich brauche diese zwei Wochen um mit Viktor das einzustudieren, was gezeigt werden soll. Die Maske, alles muss stimmig sein. Das Haus, welches ich mir ausgesucht habe steht dort, wo viele gleiche Häuser stehen. Einige der Wohnungen sind frei, dennoch sind durch die überhastete Flucht Möbel stehen geblieben, ideal, um die kleine Komödie zu spielen. Mein lieber Schwager, dieses ist dann der erste Streich.

Ich bin noch einmal zurück in mein Liebesnest, waschen, nicht dass der fremde Besuch ruchbar wird in Claudius feiner Nase. Auch das Bild welches Simon von mir gemalt hat, will ich mir genauer ansehen.

Nicht schlecht, so also sieht mich ein junger Spund, der mich als Aphrodite kennt. Sieh mal an, er hat es signiert und datiert. Das darf auf keinen Fall in fremde Hände fallen.

 Die beiden Männer links und rechts neben ihr lasen noch, als Malon sich aus der Mitte heraus wand um nachzuschauen, ob auch dieses Bild sich in den Hinterlassenschaften von Helena befand. Aus einem Impuls heraus, zog sie ihr Neglige aus. Nackt wie sie so war begab sie sich jetzt in ihr Arbeitszimmer, da hörte sie eine Stimme, Helenas Stimme. „Es fasziniert mich, das ich zweigeteilt bin zwischen Iris und dir.“

Malon drehte sich um, sie konnte schemenhaft Helena sehen so, wie sie sie gerade im Tagebuch gelesen hatte, 1939, als dreiundvierzigjährige. Sie sah aus den Augenwinkeln, dass Ben und Erik ihr gefolgt waren und so das gleiche wahrnahmen wie sie. Das war gut so, denn wie sonst sollte man das erklären. Es rumste an ihrer Wohnungstür, sie zuckten allesamt zusammen, Erik eilte zur Tür riss sie auf und Iris schlafwandelte herein. Christina, die von dem rumsen auch wach geworden war, folgte.

„Sieh mal einer an“, ertönte Helenas Stimme erneut. „Mein anderes Pendant taucht auf.“

Ben hatte ein komisches Gefühl und er zog sich kurz zurück um Thomas anzurufen. Verschlafen meldete sich dieser. „Komm bitte sofort zu Malon, allein. Lass Sonja ruhig schlafen.“ Da Bens Worte dringlich klangen, und Ben ihn an sich selten kontaktierte, musste wohl eine außergewöhnliche Situation eingetreten sein. Er zog sich leise an. Als er aus dem Bad trat, stand Sonja im Weg. „Wo willst du hin?“

„Ben hat mich angerufen“ sagte er. „Du kannst aber …“  da sah er, das ihr Anhänger des weißen Hirschens vibrierte. Daher sagte er nur: „Beeil dich.“ Nur kurze Zeit später machten sich die beiden auf den Weg. Ben bat Christina Thomas unten die Tür zu öffnen, er würde die hier oben offenstehen lassen damit sie nicht klingeln müssten. Sie nickte, sagte auch bei Carlo kurz Bescheid, eilte dann die Treppe hinunter.

„Du Malon“, sagte Helena, während sie sich ihr zuwandte. „… bist meine Gedankenwelt, du kannst nachvollziehen wie ich gedacht habe, weil du selbst das liest, was ich niemals aufgeschrieben habe. Es ist erstaunlich, wie gut du mich erfasst hast. Nur Claudius war, nachdem er mich zu einer Frau machte diese Gabe gegeben, nur er wusste, ohne dass er es aussprach was ich dachte, fühlte wie ich tickte, so sagt man heute nicht wahr? Iris hingegen ist …“

In diesem Moment traten Sonja, Thomas Christina und Carlo ein … jeder von ihnen konnte die schemenhafte Helena sehen, wie sie Iris schlafwandelnden Körper wieder übernahm, der jetzt in diesem Zustand völlig wehrlos war. Carlo und Christina setzten sich auf zwei der Stühle, blieben nur im Hintergrund. Sonja hatte die Übernahme von Iris wehrlosen Körper gesehen, hörte in ihrem Kopf: „Nicht eingreifen Das hier ist wichtig um weitere Erkenntnisse zu erhalten.“

Ben zog Thomas an seine Seite, flüsterte mit ihm, zeigte auf Sonja, schüttelte den Kopf, Thomas widersprach, erzählte seinerseits von dem Vibrieren ihres Anhängers. Ben holte tief Luft, sagte dann: „Okay. Es scheint brisant zu werden, du und ich sowie Malon sind Hüter in diesem Leben und Malon braucht jetzt unser beider Unterstützung da sie ähnlich wie Helena einst, die einzelnen Fäden in der Hand hält, sie bündelt und zu einem Ergebnis führt. Sie ist diejenige, die Helenas Gedanken erfassen kann auch die ungeschriebenen wie sie bereits bewiesen hat. Iris hingegen ist das Sprachrohr, der Körper, Helena pur. Iris wird von ihr beherrscht, benutzt, sie kann sich dagegen nicht wehren, weil sie ihr zu ähnlich ist. Malon hingegen ist die Erfassung Helenas als komplexes Wesen, das was wir über Iris nie erfahren würden, kann sie ihr nicht vorenthalten.“

Thomas schaute Ben an, lange schien es, doch waren es nur Sekunden. „Ich verstehe“, antwortete er. „Erik ist der Beschützer von Iris, auch vom weißem Hirschen dazu auserkoren, Sonja als Diana kann also Erik zur Seite stehen um über Iris jetzt zu wachen und wir, sind so schon mit Malon als Dreiergespann der Hüter eine starke Front.“

Ben nickte. „Lass uns Malon immer in der Mitte behalten. Sonja zu deiner Seite, dann Iris und auf deren anderer Seite Erik. Wenn wir einen Kreis bilden stehen Erik und ich so nebeneinander, vermitteln durch die Lilie ebenfalls einen extra Verband.“

Thomas nickte. Sprach dann mit Sonja, diese mit Erik und so bildete sich jetzt dieser Kreis. Malon und Iris standen sich gegenüber.

„Wie …“, fragte Malon jetzt. „… hat es sich angefühlt für dich, den Sohn des Geliebten zu verführen? Den Sohn, den du hättest mit ihm haben können, wenn er nicht Anna geheiratet hätte?“

Helena wand sich. Schmerz strahlte aus ihren Augen, jedoch nur einen kurzen Moment. „Es hat mir gefallen“, höhnte sie nur wenige Minuten später. „Wolltest du das hören?“

„Nein“, antwortete Malon. „Claudius hatte dich sehr viel früher zur Frau gemacht, die Liebe und Leidenschaft in dich gepflanzt. Wie er dich gemalt hat, spricht von einer ganz besonderen Beziehung zwischen euch, keinesfalls oberflächlich, sondern sehr tief und er wusste, er hatte dich zutiefst verletzt, das wiederum konnte er in den Augen der Cornelia lesen. Eine Frau wie du, das war ihm klar, würde sich rächen, würde diese Schmach nicht auf sich beruhen lassen. Das du dafür jedoch seinen Sohn, den er stets links liegen ließ, der bei seinen Eltern aufwuchs, mit seinen Vater absolut nichts gemein hatte, dass du diesen mit in deine Rache eingebunden hast …“

„Zufall“, warf sie lapidar ein. „Wenn er den Tag nicht meinen Weg gekreuzt hätte, dann hätte ich jemanden anderen gefunden, der Alexander diesen Tipp gibt. So aber, da musst du mir recht geben, hatte das eine besondere Note.“

„Du hast mir meine Frage nicht beantwortet“, ignorierte Malon diese Ausführungen.

Ein maliziöses Lächeln umspielte wieder ihre Lippen, das, wie Malon und die anderen bemerkten, nicht ihre Augen erreichte. „Claudius verführte mich und ich … nun, ich seinen Sohn. Es floss immerhin auch sein Blut in dessen Adern.“

Sie lachte auf.

„Das ist nicht witzig“, beschied Malon sie.

„Eine Frau zwischen Vater und Sohn, nun das wird es häufiger geben“, konterte Helena.

„Sicher“, bestätigte Malon. „Nur in der Regel eher zwischen Sohn und Vater, weil die Geliebte in der Regel jünger ist und damit begehrenswerter.“

Malon verließ den Kreis, stellte jetzt die blaue Kiste von Iris hoch, kramte, blätterte und hielt nach wenigen Minuten ein DIN A4 Blatt hoch, kehrte mit dieser Beute zurück in den Kreis. Sie selbst hatte es sich nur kurz angesehen, konnte jedoch nicht umhin, diese Arbeit zu bewundern. Simon von Bergheim, da war Malon sich sicher, hätte ein großer Maler werden können. Sie drehte das Bild um, so dass alle es sehen konnte.

„Wow.“ Auch Sonja war schwer beeindruckt. „Wer ist das und wer hat es gemalt?“, fragte sie überrascht.

„Simon von Bergheim“, antwortete Malon. „Und zwar an dem Nachmittag als er nichtsahnend in dem Liebesnest von Helena und Claudius sich aufhielt. Wer weiß, vielleicht war sein Vater eine Etage höher und malte selbst. Er hatte, wie es beim Lesen durchklang, den ersten Sex seines Lebens gehabt, mit ihr.“

Malon zeigte auf Iris. „Sie hatte ihn, der nicht wusste wer sie war, verführt nach allen Regeln der Kunst. Da konnte er wohl nicht umhin sie zu malen, übrigens sie stellte sich ihm als Aphrodite dar, während er malte. Venus wurde ja bereits von Claudius gemalt, so blieb nur das Pendant dazu, die sinnliche Begierde. Was nach dem für ihn gerade erlebtem auch das Nachvollziehbarste war. Dieses Bild ist sehr gut gelungen, es ist vermutlich das einzige Bild von ihm. Interessant wird es allein durch die Tatsache, dass es wenig Bilder aus jener Zeit gibt, die Helena zeigen. Er hat ihre Gesamtheit auf das Papier gebracht, ihre Verletzlichkeit des nicht mehr mädchenhaften Körpers, er brauchte indes auch nicht zu schmeicheln, denn sie wird dafür gesorgt haben sich gut zu halten. Ihr Blick, noch verhangen von der gelebten Lust und dennoch das wieder kühle beobachten. Ihre Haltung aufgestützt auf einen angewinkelten Arm, ihre Nacktheit die sie offen zeigte. Hast du es dir angesehen, bewusst angesehen, Helena, bevor du es versteckt hast?“

„Ja, habe ich“, sagte sie leise. „Und ja, er hätte in Claudius Fußstapfen treten können, das war mir klar als ich es gesehen habe. Ich wollte aber nicht, dass er es sieht, denn dann hätte ich ihm erklären müssen wie es zustande gekommen ist. Und ich wollte nicht, dass schon wieder ein von Bergheim seine Karriere mit einem Bild von mir beginnt. In diesen Zeiten, wie wir sie hatten, hätte er allerdings mit diesen Bild auch verschwinden können auf Nimmerwiedersehen, so gesehen habe ich ihm sein Leben gerettet, dass ich es an mich nahm.“

„Oh, so siehst du das also, du umgibst dich fast mit einem Heiligenschein“, konterte Malon. „Soll meine Freundin Sonja dich so malen, denn sie kann das auch und zwar richtig gut?“

„Ich denke …“, meinte Malon dann weiter. „… ich werde dieses Bild an Julius von Bergheim weitergeben, Claudius Enkel.“

„Tu das“, erwiderte Helena. „Denn ich möchte nicht, dass mein Sohn ein solches Bild von mir erhält.“

Das konnten alle nachvollziehen.

„Zu deiner anderen Frage, nein, ich möchte nicht mehr gemalt werden, ich bestreite jedoch nicht, dass deine Freundin, die sehr viel Macht hat, mich malt, obwohl sie es könnte.“

„Du hast also …“, fuhr Malon fort. „… diese Ungeheuerlichkeit, diese Lüge von dem heimlichen Geliebten des Führers gezielt Simon verklickert, damit er es denn dann am nächsten Tag Alexander erzählen sollte.“

Hohnvoll stand Helena jetzt wieder da. „Ja, das habe ich, ich bekenne mich schuldig.“

Malon sprach weiter. „Herr Rosenthal hat das entwickelte Bild ja gleich als Schmieren Komödie erkannt und ich denke auch Alexander hätte, wenn er dazu gekommen wäre die Bilder zu entwickeln, das erkannt.“

„Wenn.“ Sie zog die Augenbraue hoch. „Wenn Malon, aber dazu habe ich es bewusst nicht kommen lassen. So hatte ich Zeit und Gelegenheit die Angst zu schüren, den Verräter aufzubauen.“ ©

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Christa Helling

Vorwort

LESEPROBEN:

Iris trifft auf die Rosenthals 

aus Mittendrin 2

Malon's  Eingebung 

Malon's  Gefühl 

Rückentext