GESCHICHTENERZÄHLERINNEN - Berührte Haut erinnert sich - immer

Berührte Haut erinnert sich - immer

Da gab es diesen Jungen damals. Diesen, um den jedes Mädchen einen Bogen machte. Pickelig, verschorft. Niemand wollte ihn beim Spiel anfassen. Niemand wollte ihn zum Geburtstag einladen, aus Angst dann kommen die anderen nicht.

Warum fällt er mir jetzt ein?, fragte sich Nina als sie im Zug saß um nach Hause zu fahren. Lag es daran, dass ihr gegenüber eine Frau saß, die schuppige Haut hatte? Neurodermitis augenscheinlich. Wohl gerade ein Schub. Wie mochte sie sich fühlen, so abgetastet von den Augen der Mitreisenden, die auch Abstand nahmen von jener, die ganz offen ihre nackten Arme zeigte? Diese schuppigen, geröteten Arme. Kein schöner Anblick. So mancher senkte verstohlen den Blick, der sie zuvor noch unverhohlen angestarrt hatte. Solange zumindest wie sie ihre Jacke trug, die dieses Manko verbarg.

Man wollte nicht hinschauen und tat es dennoch. Diese Frau, sie war so locker dabei. Sie selbst schämte sich. Wieder tauchten die Erinnerungen auf, als sie die halbe Abi Klasse zum Geburtstag einlud, große Gartenparty. Ihre Mutter fand zufällig die Gästeliste und fragte dann was mit Claudius sei.

„Den kann ich nicht einladen“, hatte sie gesagt.

„Warum nicht?“, hatte ihre Mutter nachgebohrt.

„Wenn ich ihn einlade, dann kommen die anderen nicht.“

„Haben dir dein Vater und ich nicht beigebracht, dass das Äußerliche nicht das Wesentliche ist?“, hatte ihre Mutter gefragt. „Diese Hohlköpfe auf der Liste die können Claudius nicht das Wasser reichen und du weißt das auch. Denk daran, wie oft er mit dir gelernt hat, da hat dich das auch nicht gestört.“

„Ja aber...“, hatte sie eingewandt.

„Nix aber. Lädst du Claudius nicht ein, fällt die Party aus“, hatte ihre Mutter mit großer Bestimmtheit gesagt und auch ihr Vater, der die letzten Worte wohl vernommen hatte, gab ihr Recht.

„Es ist mein achtzehnter Geburtstag“, hatte sie aufgeheult.

„Eben“, erwiderte ihr Vater. „Und da sollte der Verstand so langsam in deinem Kopf einziehen und das oberflächliche Getue deiner sogenannten Freunde mal vertreiben.“

Sie war so wütend gewesen. Nur, sie kam nicht drum herum, Claudius einzuladen, wenn sie denn ihre Party haben wollte.

Klar hatte sich das rumgesprochen gehabt, dass sie Claudius zu ihrer Party eingeladen hatte. Er, Claudius er hatte sich ganz besonders darüber gefreut. Sie konnte es ihm ja nicht verdenken, sie war all die Jahre zu seiner Feier eingeladen worden und ihre Eltern hatten dafür gesorgt, dass sie auch hinging. Diese Feiern waren nur im Familienkreis abgehalten worden. Sie, nur sie, war sein besonderer Gast gewesen. Und jetzt hatte sie ihn eingeladen mit den anderen. Nacheinander sagten die anderen ab. Das war vorauszusehen gewesen. Sie hasste ihre Eltern dafür, dass sie es soweit hatten kommen lassen. Im letzten Moment kamen aber dennoch alle eingeladenen und sie spielten ein Spiel, ein Spiel das Doreen sich ausgedacht hatte. Doreen, die die größte Widersacherin von Claudius gewesen war. Sie und die anderen hatten sich die Party bei ihr nicht entgehen lassen wollen, waren doch ihre Eltern wer. Nur sie wollten ihr eine Lektion erteilen, dass sie es gewagt hatte Claudius einzuladen, obwohl er der Aussätzige war. Deswegen hatten sie sich getroffen und einen Plan aus gearbeitet. Dieses Spiel. ©

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Anja Holm

Vorwort

Leseproben
Sonja Berner

Malon Herbst

Rückentext