DAS MEDAILLON - Leseprobe 4 - aus Mittendrin
aus Mittendrin
Erik schaute nach Tante Elfriede.
„Es gab einige“, sagte sie. „Auch meine Eltern, die gegen diese Frau wetterten, sich nicht von ihr einfangen ließen. Dann wurde man allerdings schikaniert. Wir hatten damals noch den Kaufladen, Warenlieferungen blieben aus, Fenster wurden eingeworfen etcetera und sie, sie stolzierte dann im Laden herum, ganz feine Dame und ach so erschrocken, Was ist denn hier passiert? Allein wenn sie sich von diesen Begleitern fahren ließ, dieses Winken, diese Herablassung und diese Gnadenlosigkeit.
Weißt du noch Karl, als deine Tochter Schwierigkeiten hatte mit der kleinen Ziege die sie auf die Weide bringen sollte?“
Karl biss sich auf die Lippe. Elfriede fuhr fort. „Die kleine Marie träumte so vor sich hin und wurde mit einem Mal angefahren: Die Ziege habe auf dem Gehweg nichts verloren. Die Kleine verstand es nicht, führte sie doch jeden Tag die Ziege so auf die Wiese. Sie, Helena von Lohen, ließ sich von einem der Begleiter eine Waffe gegeben und erschoss vor den Augen der Kleinen die Ziege. Marie dann, als sie es begriff, stürzte sich auf diese Frau, boxte, tobte, schrie. Diese Frau befahl zwei weiteren Begleitern die Kleine auf die Mauer vorn zu legen, ließ sich eine Reitgerte geben und schlug zu. Fünfundzwanzig Schläge. Dann ging sie.“
Sascha schluckte, Iris auch.
„Und?“, fragte sie dann heiser. „Hast du dich dann immer noch bezahlen lassen für irgendwelche Aktionen, oder hast du dann Schneid genug gehabt, auszusteigen.“
„Du stellst dir das so leicht vor Iris“, antwortete er. „Die Zeiten waren nicht mit den heutigen zu vergleichen.“
„Sind sie nie“, konterte Iris. „Aber Zivilcourage sollte zumindest nicht aussterben. Deine Tochter hatte sie, was macht sie denn heute?“
„Sie ist bei der Polizei“, sagte Karl langsam.
„Bei der Polizei?“ Iris schluckte. „Doch nicht hier in der Gegend?“
„Doch, doch, Iris, du kennst sie ja recht gut.“ Er lächelte jetzt. „Sie hat dich ja einige Male verfolgen können.“
Er erinnerte sich, als seine Tochter Iris mal wieder gestellt und ihren Vater, einen Kollegen, informiert hatte. In der Zwischenzeit hatten sie und Iris sich gut unterhalten.
„Kluges Mädchen“, hatte sie gesagt gehabt. „Die weiß was sie will.“
Er hatte ihr Recht geben müssen.
„Kommen wir auf unseren Ausgangspunkt zurück“, sagte Iris. „Helena von Lohen. Habt ihr noch irgendwas schriftliches von ihr, Bilder oder so? Sucht bitte zu Hause danach und gebt es bei Elfriede ab. Jeder Hinweis ist wichtig für uns. Wie lange ist sie übrigens hier gewesen?“
„So ein dreiviertel Jahr etwa“, sagte jemand aus der Runde. „Dann waren ja diese Prozesse in Berlin und dann war sie mit einen Mal weg, sie sah sehr zufrieden aus.“
„War sie nur hier in Hemeln oder sonst noch in der Gegend?“, fragte Iris plötzlich.
„Sie war hier in der ganzen Gegend von Berlin über Braunschweig, Hildesheim, Hannover bis nach Göttingen und Hann. Münden. Wir bekamen teilweise Militärfahrzeuge gestellt, um nach dieser flüchtigen Frau und deren Kind zu suchen. Wir sollten schließlich dafür sorgen, dass sie nicht mehr auftauchte.“
Sascha presste die Lippen zusammen.
„Geht nach Hause“, forderte Iris sie auf. „Und sucht, wir Deutschen heben ja gerne auf, auch wenn es uns in Schwierigkeiten bringen kann.“
„Gute Nacht“, schloss sie. „Ich muss erst mal einiges verdauen.“
Sie ging in ihr Zimmer und zog sich um. Öffnete, als sie raus ging, ganz leise die Tür zu Leandrahs Zimmer. Hörte deren Atemzüge, schloss die Tür wieder. Die Männer saßen noch in der Gaststube, als Iris sich leise vorbei stahl. Sie brauchte jetzt Zeit für sich allein, das war viel gewesen heute, vor allem wenn man bedachte, wie ungezwungen sie alle hier aufgewachsen waren.
Nicht ahnend was sich in der Vergangenheit hier abgespielt hatte. Moralapostel waren sie gewesen, sie kickte wütend einen Stein vor sich her.
„Du darfst sie nicht verurteilen, die meisten Menschen sind schwach“, hörte sie eine Stimme neben sich. „Sie haben geglaubt etwas Gutes zu tun.“
„Das ist nicht fair Onkel Gustav“, klagte Iris.
„Woher weißt du, dass ich es bin?“, fragte er überrascht.
„Du warst immer da, wenn eine von uns sich so soooooo hilflos gefühlt hat“, sagte Iris leise. „Du hast uns immer beschützt.“
„Das habe ich“, bestätigte er.
„Warum hat niemand Leandrah und ihre Mutter damals beschützt?“, fragte sie.
„Manche Dinge müssen geschehen“, antwortete er. „Und du hast es dem Sascha heute doch auch schon gesagt. Ihn würde es nicht geben, wenn all diese furchtbaren Dinge nicht geschehen wären. Alles Iris, alles auf der Welt erlebt seine Bestimmung.
Du hast es ihm gesagt und ich habe mich über deine Worte gefreut. Euch fünf Mädchen hätte es in dieser Konstellation ebenfalls nicht gegeben, wenn all das andere nicht geschehen wäre. Heute wird eure Zusammengehörigkeit einmal mehr auf die Probe gestellt, und so wie es aussieht, meistert ihr das wirklich Hand in Hand.“
„Selbst Sascha …“, fuhr Onkel Gustav fort. „… wird aus dieser Sache gestärkt herausgehen, es wird ihn reifen lassen. Wusstest du, dass er Anja einen Heiratsantrag gemacht hat, gleich am ersten Abend?“
„Oh Mann, und ich war auf Sendung und konnte nicht ins Cafe kommen und habe daher von Sonja nur die Informationen bekommen, die diese für wichtig hielt. Anja und Sascha, hmmm … Das könnte gut gehen, die beiden passen zueinander. Sie ist richtig gut und seit sie ihren Style umgeworfen hat, ist sie auch sonst richtig taff“, sagte Iris. Ganz übergangslos fragte sie dann: „Warum hat der weiße Hirsch mir den Nebel des Vergessens geschickt?“
„Wenn du schon weißt was es ist, wirst du auch dahinter kommen wofür er gedacht war“, antwortete dieser seinerseits jetzt überrascht, dass Iris das so aufgefasst hatte.
„Es hat mit Sonja zu tun“, sagte Iris nachdenklich. „Ich will da jetzt aber nicht nachhaken, keine Sorge, nur Malon, Anja und ich haben uns schon unsere Gedanken gemacht, damals. Leandrah hatte andere Dinge im Kopf die hat das wahrscheinlich nicht mitbekommen.“
„Na nun, jetzt habe ich dich nach Hause begleitet“, sagte Iris überrascht.
„Unser Gespräch war wichtig, und du bist von deinen quälenden Fragen weggekommen. Ihr macht alles richtig, wie ihr es macht, ich bin sehr stolz auf euch alle. Solange ihr die Freundschaft hütet wie einen Schatz, solange seid ihr stark, niemand kann Euch so etwas anhaben. Komm her, du rothaariger Kobold.“ Er schloss sie fest in seine Arme, drückte sie. ©
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